Elektroauto laden bei Rewe, Lidl, Penny: Die Tankstellen der Zukunft stehen vor den Supermärkten - manager magazin

2022-12-02 17:50:24 By : Mr. Jay Zhai

Säulenstart: Shells Deutschlandchefin Linda van Schaik und Rewes Finanzchef Telerik Schischmanow Ende November in Berlin

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Ende vergangener Woche war es so weit: Die Rewe Group und der Energieriese Shell haben auf dem Parkplatz einer Supermarktfiliale in Berlin die ersten Schnellladesäulen in Betrieb genommen. Sechs Ladepunkte sollen dort künftig Elektroautos mit 300 KW oder 150 KW befüllen können, während die Fahrerinnen und Fahrer einkaufen. Bundesweit sollen nun 400 Rewe-Märkte und Penny-Discounter der Gruppe mit Säulen von Shell Recharge bestückt werden. Insgesamt, so der Rewe-Plan, sollen bis 2025 sogar 6000 Ladepunkte an Supermärkte und anderen Gebäuden des Konzerns entstehen.

"Der Einzelhandel spielt eine zentrale Rolle für den Hochlauf der alltagstauglichen E-Mobilität", erklärt Telerik Schischmanow, der seit Jahren das Deutschlandgeschäft von Rewe verantwortet und seit Sommer auch CFO der Gruppe ist. Mit den neuen Schnellladesäulen "erweitern wir unsere E-Infrastruktur", so der Manager, der sich in Jeans und Sakko an einer der Säulen fotografieren ließ. Darüber hinaus seien Säulen natürlich "ein weiterer starker Anreiz vor Ort einzukaufen".

Ähnlich ambitionierte Pläne verfolgen auch andere große Supermarktketten. Auch sie wollen ihre Kapazitäten deutlich ausbauen. So sollen etwa bei der Schwarz-Gruppe und ihren Marken Lidl und Kaufland bis Ende 2023 ein Drittel der knapp 4000 Filialen mit Ladesäulen ausgestattet werden. Und Aldi Süd will bis Ende 2024 deutschlandweit 1500 Ladepunkte anbieten. Die Lebensmittelhändler werden damit zu einem ernst zu nehmenden Player im deutschen Elektroautomarkt.

Die strategische Logik dahinter ist mehrschichtig. Die Händler wittern ein neues Geschäft – und sehen die Chance, sich beim Thema Nachhaltigkeit zu positionieren. Schließlich boomt angesichts der politischen Anstrengungen zur Senkung der Treibhausgas-Emissionen der Absatz von Elektroautos, allein von Januar bis September wurden nach Daten des Kraftfahrzeugbundesamtes  knapp 60 Prozent mehr reine Elektroautos zugelassen als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Die Ladeinfrastruktur wächst allerdings nicht in gleichem Maße mit. Wie der Verband der Automobilwirtschaft (VDA) jüngst in seinem Ladenetz-Ranking  ermittelt hat, kommen auf einen öffentlichen Ladepunkt im Schnitt rund 22 Elektroautos. Im Mai 2021 waren es nur 17 Stromer. Die Versorgungslücke wächst also.

Auch die Berater von McKinsey kommen in einer aktuellen Studie  zu dem Schluss, dass hier ein großer Nachholbedarf besteht. So müssten zwischen 2021 und 2030 in der gesamten Europäischen Union (EU) wöchentlich rund 6000 öffentliche Ladepunkte installiert werden, um den künftigen Bedarf zu decken. Doch derzeit werden in Deutschland und Frankreich nur 200 beziehungsweise 400 öffentliche Ladestationen pro Woche in Betrieb genommen – und das sind schon die Länder, die in diesem Segment die höchsten Werte innerhalb der EU aufweisen.

Die Politik hat den Druck bereits erhöht. Im März 2020 hatte die damalige Bundesregierung das sogenannte Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz beschlossen. Demnach müssen ab 2025 alle nicht zum Wohnen genutzten Gebäude mit mehr als 20 Stellplätzen mindestens einen Ladepunkt ausweisen. Für Neubauten gelten noch höhere Anforderungen. Und die Experten der Berliner Denkfabrik Agora Verkehrswende, Befürworter der staatlichen Förderung, empfehlen in einer neuen Studie , Fördermittel auf Schnellladepunkte an viel frequentierten Orten zu konzentrieren – wie eben Supermärkten oder Einkaufszentren. Diese versprächen eine gute Auslastung, auch auf dem Land, und könnten am ehesten rentabel betrieben werden.

Und hier kommen die großen Lebensmittelhändler mit ihren teilweise riesigen Parkplätzen ins Spiel. Man wolle "mit dieser Initiative die Energiewende fördern" und Autofahrerinnen und Autofahrern "den Umstieg auf ein Elektrofahrzeug erleichtern", erklärte etwa Rewe anlässlich der Säuleneinweihung in Berlin.

Zusätzlich fungieren die Säulen als Lockinstrument zur Stärkung des stationären Handels. Wer sein Auto mal eben beim Einkaufen laden kann, sieht vielleicht eher davon ab, die Produkte online zu kaufen. Zudem werden auch neue Kundinnen und Kunden angelockt, die ihren Stromer dringend laden müssen und dies mit einem Einkauf verbinden. Und die Elektro-Kundschaft bleibt womöglich länger im Markt, da sie sich die Zeit, bis der Akku aufgeladen ist, vertreiben muss. Und durch die längere Verweildauer werden in der Regel auch die Einkaufswagen voller – was wiederum den Umsatz steigert.

Die Elektroladesäulen führten für Rewe zu einem "Standortvorteil", ist auch Timo Sillober überzeugt. Er ist Chief Sales & Operations Officer und Verantwortlicher für die E-Mobilität beim Stromkonzern EnBW. Wie Shell kooperiert auch EnBW mit der Supermarktkette, 2000 Schnellladepunkte will man zusammen ans Netz bringen – die ersten gingen Ende Oktober auf dem Parkplatz einer Rewe-Filiale in Meerbusch-Brüderich bei Düsseldorf in Betrieb. Zusätzlich hat Rewe noch weitere Partnerschaften für den Aufbau von Ladesäulen. Mit dem Tankstellenbetreiber Aral hat man sich Anfang Oktober auf Schnelllader bei 180 Filialen geeinigt, womöglich soll das Projekt noch deutlich erweitert werden. Und regional kooperiert man mit Mainova im Rhein-Main-Gebiet, wo Strukturen bei 35 Filialen entstehen sollen.

Dieser Kooperationsansatz ist typisch für den aktuellen Elektro-Boom bei den Supermärkten, sagt Alexander Krug von der Unternehmensberatung Arthur D. Little. Grundsätzlich gebe es zwei verschiedene Modelle. "Beim ersten investiert der Händler selbst in die Ladeinfrastruktur und beauftragt einen Dienstleister, beispielsweise ein Energieunternehmen, mit dem Betrieb." Der Händler werde dann in der Regel an den Umsätzen beteiligt, müsse davon aber die Kosten der Investition und die Betriebsgebühr für den Dienstleister abziehen. Das sei das Modell, das er derzeit am häufigsten im Markt sehe. "Die Händler haben derzeit nur ein kleines Netz von Ladesäulen", so Krug weiter. Damit sich für sie auch der Betrieb der Säulen lohne, brauche man aber ein paar Hundert Stationen in Deutschland.

Beim zweiten Modell sei es umgekehrt: "Hier haben die Energieanbieter ein Interesse daran, ihre Ladesäulen an viel frequentierten Plätzen aufzustellen, und sind bereit, die Ladesäule zu stellen und eine Gebühr an den Händler zu zahlen", so Krug weiter. Diese Kooperationsform ist aktuell die Ausnahme.

Einen ganz anderen Weg beschreitet die Schwarz-Gruppe mit ihren Marken Lidl und Kaufland – sie setzen auf eine Billigstrategie ohne Partner. Der Discounter will über seine vergleichsweise niedrigen Preise gezielt Ladekunden ansprechen – und diese dann im besten Fall auch in seine Läden locken. "So wie es für uns heute normal ist, die Benzinpreise zu vergleichen, werden wir auch zunehmend die Ladepreise einer genaueren Prüfung unterziehen", beschreibt Berater Krug die Logik.

Gezielt Ladekunden ansprechen: Der Discounter Lidl betreibt die Ladesäulen selbst und kann dadurch günstigere Preise anbieten

Um die niedrigen Preise anbieten zu können, stellt Lidl nicht nur die Ladesäulen selbst auf, sondern kümmert sich auch um den Betrieb der Säulen. Wer seinen Stromer dort laden will, muss sich als Erstes die hauseigene App herunterladen – mit Karten von anderen Netzbetreibern kommt man hier nicht weit. Rein von den Zahlen her, ist dieses Geschäftsmodell für die Händler am attraktivsten, da sie mögliche Gewinne nicht teilen müssen und im besten Fall den Strom sogar über die eigene Solaranlage auf dem Dach des Supermarktes in die Säulen einspeisen können.

Genau hier sieht Berater Krug auch Risiken für Unternehmen, die sich gegen den Aufbau einer eigenen Ladeinfrastruktur entscheiden: "In zehn Jahren wird das Elektroauto das normale Fortbewegungsmittel sein", prophezeit er. Schon jetzt gebe es die ersten Kundenbindungsprogramme für das Laden an den Säulen. Wer den Betrieb komplett auslagere, könne diesen Vorteil nicht mehr für sich nutzen. Und natürlich auch nicht von den Einnahmen profitieren. Dabei geht es um ein riesiges Geschäftsfeld: Bis 2030 wird der Markt für das Laden von Elektrofahrzeugen in Deutschland von einer Milliarde Euro (2020) auf ein Volumen von zehn Milliarden Euro ansteigen, wie eine Studie von Arthur D. Little zeigt.

Derzeit kommen die Unternehmen allerdings kaum mit dem Aufbau der Ladeinfrastruktur hinterher. Die Rewe Group beispielsweise hatte im November 2021 das Ziel verkündet , bis Ende 2024 deutschlandweit über 6000 Ladepunkte errichten zu wollen. Die Zahl der Ladepunkte gilt immer noch, nur wurde inzwischen wurde die Zeitspanne inzwischen um ein Jahr verlängert. Die ersten vier Schnellladesäulen in Meerbusch-Büderich gingen erst fast ein Jahr nach Veröffentlichung der Pläne ans Netz . "Der Aufbau entsprechender Ladeinfrastruktur bei Mietobjekten und Neubauten braucht entsprechende Zeit für Planungen, behördliche Genehmigungen und Realisation", erklärt ein Rewe-Sprecher den langen Zeithorizont bis zur Umsetzung. Zudem müssten auch die Netzbetreiber und ausführenden Firmen die Kapazitäten zur Verfügung haben.

Dieses Problem beschreibt auch Berater Krug: "In Europa trifft derzeit eine hohe Nachfrage nach Ladesäuleninfrastruktur auf ein durch Lieferkettenprobleme und die Chipkrise reduziertes Angebot." Auch Tiefbau-Unternehmen und Elektriker, die sich um den Aufbau kümmerten, seien schwer zu bekommen.

Insgesamt aber, so viel deutet sich an, werden die Supermärkte mit ihrer Elektrooffensive die Mobilitätsbranche verändern. Die neuen Player werden – genug Ladepunkte vorausgesetzt – womöglich sogar zur Bedrohung für die alten. Für die Tankstellenbetreiber spitzt sich die Lage nämlich immer weiter zu. Mit dem langsamen Verschwinden der Verbrenner-Autos wird ihr bisheriges Geschäftsmodell ohnehin perspektivisch schrumpfen. Und aktuell sind die meisten Tankstellen keine Orte, an denen man sich länger aufhalten will, während das Elektroauto lädt. Solange die Ladetechnologie nicht schneller wird, müssten die Kundinnen und Kunden anstelle von fünf Minuten tanken aber durchschnittlich eine halbe Stunde laden.

AC (Alternating Current) steht für Wechselstrom und beschreibt mit einer Ladegeschwindigkeit von bis zu 43 Kilowatt (kW) die langsamste Form des Ladens.

Beim DC (Direct Current) wird die Batterie mit Gleichstrom geladen, dadurch können wesentlich höhere Geschwindigkeiten von bis zu 150 kW erreicht werden.

Beim HPC (High Power Charging) wird ebenfalls mit Gleichstrom geladen, allerdings mit deutlich höheren Geschwindigkeiten von bis zu 350 kW.

Kein Wunder also, dass Shell oder Aral mit den Supermärkten gemeinsame Sache machen und auch sonst versuchen ihre Tankstellen aufzuhübschen. Shell etwa will seinen Kundinnen und Kunden den Aufenthalt mit einem besseren Snack- und Kaffeeangebot versüßen, auch Paketstationen und Bargeldauszahlung sollen die Langeweile vertreiben . Sogar von einem Dinner an der Tankstelle ist die Rede. Ob das allein aber ausreicht, ist fraglich. Daher setzt Shell neben den Kooperationen mit den Einzelhändlern auch auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur an Laternenpfählen und Straßenpollern sowie den Einstieg ins Wallbox-Geschäft.

Übrigens haben nicht nur Supermarktketten und Discounter das Geschäft mit den Ladesäulen für sich entdeckt. Auch bei Fast-Food-Restaurants, Baumärkten oder auf Hotelparkpläten können künftig Elektroautos geladen werden. Gerade erst hat beispielsweise die Hotelkette B&B bekannt gegeben, bis 2023 rund 1500 öffentlich zugängliche Ladepunkte an ihren 150 Hotels in Deutschland errichten zu wollen. Und McDonald’s will bis 2025 an mehr als 1000 Standorten Ladesäulen errichten. Das Spiel ist eröffnet.

Säulenstart: Shells Deutschlandchefin Linda van Schaik und Rewes Finanzchef Telerik Schischmanow Ende November in Berlin

Gezielt Ladekunden ansprechen: Der Discounter Lidl betreibt die Ladesäulen selbst und kann dadurch günstigere Preise anbieten